In öffentlichen Restrukturierungssachen ist Artikel 102c §§ 1, 2, 3 Absatz 1 und 3, die §§ 6, 15, 25 und 26 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung entsprechend anwendbar.
§ 88 regelt, dass und in welchem Umfang die Vorschriften des Art. 102c EGInsO, soweit deren entsprechende Anwendung in den §§ 84 ff. nicht bereits anderweitig explizit angeordnet wurde, in öffentlichen Restrukturierungssachen entsprechend anwendbar sind (StaRUG-RegE, BR-Drucks 619/20, S. 209).
Der Hintergrund der Regelung ist, dass der Gesetzgeber beabsichtigte, öffentliche Restrukturierungssachen zur Aufnahme in den Anhang A (Insolvenzverfahren nach Artikel 2 Nummer 4) zur EuInsVO anzumelden (Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BR-Drucks 619/20, S. 209). In einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Art. 289 Abs. 1, 294 AEUV) haben das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union die VO (EU) 2021/2260 vom 15.12.2021 erlassen, die am 9.1.2022 in Kraft trat. Im geänderten Anhang A (Insolvenzverfahren nach Artikel 2 Nummer 4) ist die öffentliche Restrukturierungssache nun als "Insolvenzverfahren" gem. Artikel 2 Nummer 4 der EuInsVO aufgeführt. Die Aufnahme der öffentlichen Restrukturierungssache in den Anhang A (Insolvenzverfahren nach Artikel 2 Nummer 4) hat zur Folge, dass öffentliche Restrukturierungssachen künftig von dem Anwendungsbereich der EuInsVO und insbesondere den dort geregelten Anerkennungs- und Zuständigkeitsvorschriften erfasst sein werden (vgl. Ausführungen unter § 84).
Art. 102c EGInsO, auf den § 88 verweist, enthält keine Umsetzungsvorschriften, da die Regelungen der EUInsVO diesbezüglich unmittelbare Anwendung finden. Es handelt sich bei den Regelungen in Art. 102c EGInsO vielmehr um Durchführungsvorschriften, um das Zusammenspiel dieser europäischen Verordnung mit dem nationalen Recht zu gewährleisten (Vgl. K. Schmidt/Brinkmann, Vorb. zu Art. 102 §§ 1 ff. EGInsO Rn. 1).
Dogmatisch handelt es sich bei der öffentlichen Restrukturierungssache nicht um ein Insolvenzverfahren im Sinne des nationalen Rechts, allerdings um ein Insolvenzverfahren Im Sinne des Art. 2 Nr. 4 EUInsVO (vgl. StaRUG-RegE, BR-Drucks 619/20, S. 206); ErwG 1 der VO (EU) 2021/2260; so auch: BeckOK-StaRUG/Skauradszun, § 84 Rn. 5).
Durch die VO (EU) 2021/2260 wurde zudem der Restrukturierungsbeauftragte in den Anhang B (Verwalter nach Artikel 2 Nummer 5) der EUInsVO aufgenommen. Ab dem 17.7.2022 in einer öffentlichen Restrukturierungssache bestellte Restrukturierungsbeauftragte sind damit Verwalter im Sinne des Art. 2 Nr. 5 EuInsVO.
Art. 102c §§ 1 und 6 EGInsO regeln die örtliche Zuständigkeit deutscher Gerichte, wenn ein deutsches Restrukturierungsgericht nach Art. 3 Abs. 1 oder 2 EuInsVO international zuständig ist.
Ist ein deutsches Gericht nach § 3 Abs. 1 EuInsVO international zuständig, so ist das Restrukturierungsgericht nach Art. 102 § 1 Abs. 1 EGInsO in entsprechender Anwendung ausschließlich örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen (sog. center of main interests, COMI) hat.
Ist ein deutsches Gericht nach § 3 Abs. 2 EuInsVO international zuständig, so ist das Restrukturierungsgericht nach Art. 102 § 1 Abs. 2 EGInsO in entsprechender Anwendung ausschließlich örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Niederlassung des Schuldners liegt.
Art. 102 § 1 Abs. 2 S. 2 EGInsO müsste richtigerweise auf § 3 Abs. 3 InsO statt auf § 3 Abs. 2 InsO verweisen. Der Fehler im Gesetz erklärt sich durch den Einschub des neuen § 3 Abs. 2 InsO durch das SanInsFoG. Infolgedessen ist die Prioritätsregel des § 3 Abs. 2 InsO a.F. in § 3 Abs. 3 InsO n.F. geschoben worden. Nach § 88 StaRUG, Art. 102 Abs. 2 S. 2 EGInsO, § 3 Abs. 3 InsO in entsprechender Anwendung verdrängt das Gericht, bei dem zuerst eine Entscheidung im Restrukturierungsverfahren beantragt worden ist, die übrigen zuständigen Gerichte (BeckOK-InsO/Skauradszun, EGInsO, Art. 102c § 1 Rn. 22).
Art. 102c § 6 Abs. 1 EGInsO bezieht sich auf die örtliche Zuständigkeit sog. Annexklagen. Annexklagen sind nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen (MüKoInsO/Thole, 4. Aufl. 2021, EGInsO Art. 102c § 6 Rn. 6). Nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren nach Art. 3 EUInsVO eröffnet worden ist, für Annexklagen international zuständig. Sind nach diesen Maßstäben deutsche Gerichte nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO international zuständig, ergibt sich die örtliche Zuständigkeit primär aus den allgemeinen Vorschriften wie §§ 12 ff. ZPO und subsidiär aus Art. 102c § 6 Abs. 1 EGInsO.
Besteht ein Zusammenhang zwischen einer Annexklage und einer anderen zivil- oder handelsrechtlichen Klage gegen denselben bzw. dieselbe Beklagten, sind nach Art. 6 Abs. 2 EuInsVO auch die Gerichte des Mitgliedstaats international zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat.
§ 6 Abs. 2 EGInsO begründet einen fakultativen Gerichtsstand. Sind deutsche Gerichte nach Art. 6 Abs. 2 EuInsVO international zuständig, ist nach Art. 102c § 6 Abs. 2 EGInsO auch das Gericht örtlich zuständig, das für die andere zivil- oder handelsrechtliche Klage zuständig ist.
Art. 102c § 2 EGInsO enthält Bestimmungen zum Prioritätsgrundsatz zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten.
Art. 102c § 2 Abs. 1 EGInsO regelt den Fall, dass zwei Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten jeweils mit der öffentlichen Primärrestrukturierungssache befasst werden (positive Kompetenzkonflikte).
Hat ein deutsches Gericht eine öffentliche Primärrestrukturierungssache entgegen Art. 3 Abs. 1 EuInsVO eröffnet, obwohl bereits in einem anderen Mitgliedstaat zuvor ein solches Verfahren über das Vermögen desselben Schuldners wirksam eröffnet wurde, darf das deutsche Gericht nach Art. 102 § 2 Abs. 1 EGInsO das Verfahren nicht fortsetzen. Unklar ist, ob es als Sekundärverfahren fortgesetzt werden kann (wohl dafür: BeckOK StaRUG/Skauradszun, 4. Ed. 1.3.2022, StaRUG § 88 Rn. 15; wohl dagegen: Morgen/Blankenburg, StaRUG, § 88 Rn. 7). Das deutsche Gericht ist gem. Art. 102c § 2 S. 2 EGInsO verpflichtet, das Verfahren einzustellen.
Art. 102c § 2 Abs. 2 normiert eine Ablehnungssperre des deutschen Gerichts für sog. negative Kompetenzkonflikte. Hat ein Gericht eines anderen Mitgliedsstaates sich für international unzuständig erklärt, weil der COMI nicht in dem betreffenden Mitgliedsstaat, sondern in Deutschland liegt, sind die deutschen Gerichte an diese Feststellung gebunden. Deutsche Gerichte können in dem Fall nicht feststellen, dass der COMI in dem Mitgliedsstaat des zuvor angerufenen Gerichts liegt. Ein Hin- und Herschieben des Schuldners zwischen zwei EU-Mitgliedsstaaten ist somit nicht möglich. Deutsche Gerichte können sich aber für unzuständig erklären, weil sie die Gerichte eines weiteren Mitgliedstaates für zuständig erachten (BeckOK-InsO/Skauradszun, EGInsO, Art. 102c § 2 Rn. 16; Jaeger/Mankowski, EGInsO, Art. 102c § 2 Rn. 41 ff.).
§ 88 StaRUG erklärt Art. 102c § 3 Abs. 1 und 3 (nicht Abs. 2!) EGInsO für entsprechend anwendbar. Art. 102c § 3 Abs. 1 und 3 EGInsO regelt die verfahrensrechtlichen Anforderungen für die Einstellung des Verfahrens zugunsten eines anderen Mitgliedstaates nach Art. 102c § 2 EGInsO. Normzweck ist die Durchsetzung der Prioritätsregel der EuInsVO, um Kompetenzkonflikte zu vermeiden.
§ 88 StaRUG erklärt die Regelung des Art. 102c § 15 EGInsO zum Insolvenzplan in deutschen Sekundärverfahren für entsprechend anwendbar.
Sieht ein Restrukturierungsplan in einer in der Bunderepublik Deutschland eröffneten öffentlichen Sekundärrestrukturierungssache eine Stundung, einen Erlass oder sonstige Einschränkungen der Rechte der Gläubiger vor, so darf der Restrukturierungsplan entsprechend Art. 102c § 15 EGInsO nur von dem Gericht bestätigt werden, wenn alle betroffenen Gläubiger zustimmen. Art. 102c § 15 S. 2 EGInsO enthält lediglich eine Rückausnahme vom Einstimmigkeitserfordernis für Planregelungen, mit denen in Absonderungsrechte eingegriffen wird. Konkret bedeutet dies, dass in deutschen öffentlichen Sekundärrestrukturierungssachen das Mehrheitserfordernis nach § 25 StaRUG bis auf die Rückausnahme für den Restrukturierungsplan nicht gilt (BeckOK-InsO/Skauradszun/Nijnens, EGInsO, Art. 102c § 15 Rn. 19). Mit Blick auf den Zweck der Norm wird Art. 102c § 15 EGInsO einschränkend ausgelegt. Telos der Norm ist, zu verhindern, dass Gläubiger der Primärrestrukturierungssache in ihren Rechten durch Rechtwirkungen der Sekundärrestrukturierungssache beeinträchtigt werden, indem die Rechtswirkungen der Sekundärrestrukturierungssache auch in der Primärrestrukturierungssache zu berücksichtigen sind (Morgen/Blankenburg, StaRUG, § 88 Rn. 11).
Erstrecken sich die Rechtswirkungen ausschließlich auf das Vermögen der Sekundärsache, besteht die Gefahr der Benachteiligung der Gläubiger der Hauptrestrukturierungssache nicht. Deshalb müssen lediglich dann alle Gläubiger zustimmen, wenn mit dem Restrukturierungsplan auch Vermögen erfasst werden soll, das nicht von dem Sekundärverfahren erfasst ist. (BeckOK StaRUG/Skauradszun § 88 Rn. 20; vgl. MüKoBGB/Kindler EGInsO Art. 102c § 15 Rn. 3).
Entsprechend der Regelung in Art. 69 Abs. 1 EuInsVO dürfte der Restrukturierungsbeauftragte (=Verwalter i.S.d. EuInsVO) einer Restrukturierungssache über das Vermögen eines Mitglieds einer Unternehmensgruppe die nachträgliche Einbeziehung des eigenen Verfahrens in ein bereits eröffnetes Gruppen-Koordinationsverfahren i.S.d. Art. 61 EuInsVO beantragen können (sog. nachträgliches Opt-in). Art. 102c § 25 EGInsO regelt das statthafte Rechtsmittel gegen die Entscheidungen des Koordinators (Art. 71 ff. EuInsVO) über solche nachträglichen Opt-In-Anträge eines Verwalters nach Art. 69 Abs. 2 EuInsVO.
Art. 102c § 25 rekurriert auf das in Art. 69 Abs. 4 EuInsVO vorgesehene Anfechtungsrecht und bestimmt diesbezüglich, dass in einem Gruppen-Koordinationsverfahren auf das deutsches Recht Anwendung findet, die Erinnerung nach § 573 ZPO statthaft ist.
Art. 102c § 26 EGInsO regelt das statthafte Rechtsmittel gegen die Entscheidungen über die Kosten des Gruppen-Koordinationsverfahren nach Art. 77 Abs. 4 EuInsVO. Legt ein Verwalter gegen Kostenentscheidungen des Koordinators, insbesondere über die Vergütung des Koordinators, Widerspruch ein, hat das Gericht, das das Gruppenkoordinationsverfahren eröffnet hat, gem. Art. 77 Abs. 4 EuInsVO auf Antrag des Koordinators oder eines beteiligten Verwalters eine Kostenentscheidung zu treffen. Gegen diese Kostenentscheidung sieht Art. 77 Abs. 5 EuInsVO ein Anfechtungsrecht der beteiligten Verwalter vor. Art. 102c § 26 nimmt auf diese Anfechtungsmöglichkeit Bezug und erklärt die sofortige Beschwerde für statthaft.
Art. 102c § 26 Abs. 2 EGInsO regelt die entsprechende Anwendung der §§ 574 bis 577 ZPO, wobei die Entscheidung über die Beschwerde nach § 40 Abs. 3 erst mit Rechtskraft wirksam wird. Hinsichtlich der Beschwerdefrist gilt § 40 Abs. 2. Die Beschwerdefrist beginnt nach § 40 Abs. 2 mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung.
In öffentlichen Restrukturierungssachen ist Artikel 102c §§ 1, 2, 3 Absatz 1 und 3, die §§ 6, 15, 25 und 26 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung entsprechend anwendbar.
Übersicht:
I. Art. 102c §§ 1 und § 6 EGInsO
II. Art. 102c § 2 EGInsO
III. Art. 102c § 3 Abs. 1 und 3 EGInsO
IV. Art. 102c § 15 EGInsO
V. Art. 102c § 25 EGInsO
VI. Art. 102c § 26 EGInsO
§ 88 regelt, dass und in welchem Umfang die Vorschriften des Art. 102c EGInsO, soweit deren entsprechende Anwendung in den §§ 84 ff. nicht bereits anderweitig explizit angeordnet wurde, in öffentlichen Restrukturierungssachen entsprechend anwendbar sind (StaRUG-RegE, BR-Drucks 619/20, S. 209).
Der Hintergrund der Regelung ist, dass der Gesetzgeber beabsichtigte, öffentliche Restrukturierungssachen zur Aufnahme in den Anhang A (Insolvenzverfahren nach Artikel 2 Nummer 4) zur EuInsVO anzumelden (Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BR-Drucks 619/20, S. 209). In einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Art. 289 Abs. 1, 294 AEUV) haben das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union die VO (EU) 2021/2260 vom 15.12.2021 erlassen, die am 9.1.2022 in Kraft trat. Im geänderten Anhang A (Insolvenzverfahren nach Artikel 2 Nummer 4) ist die öffentliche Restrukturierungssache nun als "Insolvenzverfahren" gem. Artikel 2 Nummer 4 der EuInsVO aufgeführt. Die Aufnahme der öffentlichen Restrukturierungssache in den Anhang A (Insolvenzverfahren nach Artikel 2 Nummer 4) hat zur Folge, dass öffentliche Restrukturierungssachen künftig von dem Anwendungsbereich der EuInsVO und insbesondere den dort geregelten Anerkennungs- und Zuständigkeitsvorschriften erfasst sein werden (vgl. Ausführungen unter § 84).
Art. 102c EGInsO, auf den § 88 verweist, enthält keine Umsetzungsvorschriften, da die Regelungen der EUInsVO diesbezüglich unmittelbare Anwendung finden. Es handelt sich bei den Regelungen in Art. 102c EGInsO vielmehr um Durchführungsvorschriften, um das Zusammenspiel dieser europäischen Verordnung mit dem nationalen Recht zu gewährleisten (Vgl. K. Schmidt/Brinkmann, Vorb. zu Art. 102 §§ 1 ff. EGInsO Rn. 1).
Dogmatisch handelt es sich bei der öffentlichen Restrukturierungssache nicht um ein Insolvenzverfahren im Sinne des nationalen Rechts, allerdings um ein Insolvenzverfahren Im Sinne des Art. 2 Nr. 4 EUInsVO (vgl. StaRUG-RegE, BR-Drucks 619/20, S. 206); ErwG 1 der VO (EU) 2021/2260; so auch: BeckOK-StaRUG/Skauradszun, § 84 Rn. 5).
Durch die VO (EU) 2021/2260 wurde zudem der Restrukturierungsbeauftragte in den Anhang B (Verwalter nach Artikel 2 Nummer 5) der EUInsVO aufgenommen. Ab dem 17.7.2022 in einer öffentlichen Restrukturierungssache bestellte Restrukturierungsbeauftragte sind damit Verwalter im Sinne des Art. 2 Nr. 5 EuInsVO.
Im Einzelnen sieht Art. 102c EGInsO die entsprechende Anwendung folgender Bestimmungen des EGInsO vor:
Art. 102c §§ 1 und 6 EGInsO regeln die örtliche Zuständigkeit deutscher Gerichte, wenn ein deutsches Restrukturierungsgericht nach Art. 3 Abs. 1 oder 2 EuInsVO international zuständig ist.
Ist ein deutsches Gericht nach § 3 Abs. 1 EuInsVO international zuständig, so ist das Restrukturierungsgericht nach Art. 102 § 1 Abs. 1 EGInsO in entsprechender Anwendung ausschließlich örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen (sog. center of main interests, COMI) hat.
Ist ein deutsches Gericht nach § 3 Abs. 2 EuInsVO international zuständig, so ist das Restrukturierungsgericht nach Art. 102 § 1 Abs. 2 EGInsO in entsprechender Anwendung ausschließlich örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Niederlassung des Schuldners liegt.
Art. 102 § 1 Abs. 2 S. 2 EGInsO müsste richtigerweise auf § 3 Abs. 3 InsO statt auf § 3 Abs. 2 InsO verweisen. Der Fehler im Gesetz erklärt sich durch den Einschub des neuen § 3 Abs. 2 InsO durch das SanInsFoG. Infolgedessen ist die Prioritätsregel des § 3 Abs. 2 InsO a.F. in § 3 Abs. 3 InsO n.F. geschoben worden. Nach § 88 StaRUG, Art. 102 Abs. 2 S. 2 EGInsO, § 3 Abs. 3 InsO in entsprechender Anwendung verdrängt das Gericht, bei dem zuerst eine Entscheidung im Restrukturierungsverfahren beantragt worden ist, die übrigen zuständigen Gerichte (BeckOK-InsO/Skauradszun, EGInsO, Art. 102c § 1 Rn. 22).
Art. 102c § 6 Abs. 1 EGInsO bezieht sich auf die örtliche Zuständigkeit sog. Annexklagen. Annexklagen sind nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen (MüKoInsO/Thole, 4. Aufl. 2021, EGInsO Art. 102c § 6 Rn. 6). Nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren nach Art. 3 EUInsVO eröffnet worden ist, für Annexklagen international zuständig. Sind nach diesen Maßstäben deutsche Gerichte nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO international zuständig, ergibt sich die örtliche Zuständigkeit primär aus den allgemeinen Vorschriften wie §§ 12 ff. ZPO und subsidiär aus Art. 102c § 6 Abs. 1 EGInsO.
Besteht ein Zusammenhang zwischen einer Annexklage und einer anderen zivil- oder handelsrechtlichen Klage gegen denselben bzw. dieselbe Beklagten, sind nach Art. 6 Abs. 2 EuInsVO auch die Gerichte des Mitgliedstaats international zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat.
§ 6 Abs. 2 EGInsO begründet einen fakultativen Gerichtsstand. Sind deutsche Gerichte nach Art. 6 Abs. 2 EuInsVO international zuständig, ist nach Art. 102c § 6 Abs. 2 EGInsO auch das Gericht örtlich zuständig, das für die andere zivil- oder handelsrechtliche Klage zuständig ist.
Art. 102c § 2 EGInsO enthält Bestimmungen zum Prioritätsgrundsatz zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten.
Art. 102c § 2 Abs. 1 EGInsO regelt den Fall, dass zwei Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten jeweils mit der öffentlichen Primärrestrukturierungssache befasst werden (positive Kompetenzkonflikte).
Hat ein deutsches Gericht eine öffentliche Primärrestrukturierungssache entgegen Art. 3 Abs. 1 EuInsVO eröffnet, obwohl bereits in einem anderen Mitgliedstaat zuvor ein solches Verfahren über das Vermögen desselben Schuldners wirksam eröffnet wurde, darf das deutsche Gericht nach Art. 102 § 2 Abs. 1 EGInsO das Verfahren nicht fortsetzen. Unklar ist, ob es als Sekundärverfahren fortgesetzt werden kann (wohl dafür: BeckOK StaRUG/Skauradszun, 4. Ed. 1.3.2022, StaRUG § 88 Rn. 15; wohl dagegen: Morgen/Blankenburg, StaRUG, § 88 Rn. 7). Das deutsche Gericht ist gem. Art. 102c § 2 S. 2 EGInsO verpflichtet, das Verfahren einzustellen.
Art. 102c § 2 Abs. 2 normiert eine Ablehnungssperre des deutschen Gerichts für sog. negative Kompetenzkonflikte. Hat ein Gericht eines anderen Mitgliedsstaates sich für international unzuständig erklärt, weil der COMI nicht in dem betreffenden Mitgliedsstaat, sondern in Deutschland liegt, sind die deutschen Gerichte an diese Feststellung gebunden. Deutsche Gerichte können in dem Fall nicht feststellen, dass der COMI in dem Mitgliedsstaat des zuvor angerufenen Gerichts liegt. Ein Hin- und Herschieben des Schuldners zwischen zwei EU-Mitgliedsstaaten ist somit nicht möglich. Deutsche Gerichte können sich aber für unzuständig erklären, weil sie die Gerichte eines weiteren Mitgliedstaates für zuständig erachten (BeckOK-InsO/Skauradszun, EGInsO, Art. 102c § 2 Rn. 16; Jaeger/Mankowski, EGInsO, Art. 102c § 2 Rn. 41 ff.).
§ 88 StaRUG erklärt Art. 102c § 3 Abs. 1 und 3 (nicht Abs. 2!) EGInsO für entsprechend anwendbar. Art. 102c § 3 Abs. 1 und 3 EGInsO regelt die verfahrensrechtlichen Anforderungen für die Einstellung des Verfahrens zugunsten eines anderen Mitgliedstaates nach Art. 102c § 2 EGInsO. Normzweck ist die Durchsetzung der Prioritätsregel der EuInsVO, um Kompetenzkonflikte zu vermeiden.
§ 88 StaRUG erklärt die Regelung des Art. 102c § 15 EGInsO zum Insolvenzplan in deutschen Sekundärverfahren für entsprechend anwendbar.
Sieht ein Restrukturierungsplan in einer in der Bunderepublik Deutschland eröffneten öffentlichen Sekundärrestrukturierungssache eine Stundung, einen Erlass oder sonstige Einschränkungen der Rechte der Gläubiger vor, so darf der Restrukturierungsplan entsprechend Art. 102c § 15 EGInsO nur von dem Gericht bestätigt werden, wenn alle betroffenen Gläubiger zustimmen. Art. 102c § 15 S. 2 EGInsO enthält lediglich eine Rückausnahme vom Einstimmigkeitserfordernis für Planregelungen, mit denen in Absonderungsrechte eingegriffen wird. Konkret bedeutet dies, dass in deutschen öffentlichen Sekundärrestrukturierungssachen das Mehrheitserfordernis nach § 25 StaRUG bis auf die Rückausnahme für den Restrukturierungsplan nicht gilt (BeckOK-InsO/Skauradszun/Nijnens, EGInsO, Art. 102c § 15 Rn. 19). Mit Blick auf den Zweck der Norm wird Art. 102c § 15 EGInsO einschränkend ausgelegt. Telos der Norm ist, zu verhindern, dass Gläubiger der Primärrestrukturierungssache in ihren Rechten durch Rechtwirkungen der Sekundärrestrukturierungssache beeinträchtigt werden, indem die Rechtswirkungen der Sekundärrestrukturierungssache auch in der Primärrestrukturierungssache zu berücksichtigen sind (Morgen/Blankenburg, StaRUG, § 88 Rn. 11).
Erstrecken sich die Rechtswirkungen ausschließlich auf das Vermögen der Sekundärsache, besteht die Gefahr der Benachteiligung der Gläubiger der Hauptrestrukturierungssache nicht. Deshalb müssen lediglich dann alle Gläubiger zustimmen, wenn mit dem Restrukturierungsplan auch Vermögen erfasst werden soll, das nicht von dem Sekundärverfahren erfasst ist. (BeckOK StaRUG/Skauradszun § 88 Rn. 20; vgl. MüKoBGB/Kindler EGInsO Art. 102c § 15 Rn. 3).
Entsprechend der Regelung in Art. 69 Abs. 1 EuInsVO dürfte der Restrukturierungsbeauftragte (=Verwalter i.S.d. EuInsVO) einer Restrukturierungssache über das Vermögen eines Mitglieds einer Unternehmensgruppe die nachträgliche Einbeziehung des eigenen Verfahrens in ein bereits eröffnetes Gruppen-Koordinationsverfahren i.S.d. Art. 61 EuInsVO beantragen können (sog. nachträgliches Opt-in). Art. 102c § 25 EGInsO regelt das statthafte Rechtsmittel gegen die Entscheidungen des Koordinators (Art. 71 ff. EuInsVO) über solche nachträglichen Opt-In-Anträge eines Verwalters nach Art. 69 Abs. 2 EuInsVO.
Art. 102c § 25 rekurriert auf das in Art. 69 Abs. 4 EuInsVO vorgesehene Anfechtungsrecht und bestimmt diesbezüglich, dass in einem Gruppen-Koordinationsverfahren auf das deutsches Recht Anwendung findet, die Erinnerung nach § 573 ZPO statthaft ist.
Art. 102c § 26 EGInsO regelt das statthafte Rechtsmittel gegen die Entscheidungen über die Kosten des Gruppen-Koordinationsverfahren nach Art. 77 Abs. 4 EuInsVO. Legt ein Verwalter gegen Kostenentscheidungen des Koordinators, insbesondere über die Vergütung des Koordinators, Widerspruch ein, hat das Gericht, das das Gruppenkoordinationsverfahren eröffnet hat, gem. Art. 77 Abs. 4 EuInsVO auf Antrag des Koordinators oder eines beteiligten Verwalters eine Kostenentscheidung zu treffen. Gegen diese Kostenentscheidung sieht Art. 77 Abs. 5 EuInsVO ein Anfechtungsrecht der beteiligten Verwalter vor. Art. 102c § 26 nimmt auf diese Anfechtungsmöglichkeit Bezug und erklärt die sofortige Beschwerde für statthaft.
Art. 102c § 26 Abs. 2 EGInsO regelt die entsprechende Anwendung der §§ 574 bis 577 ZPO, wobei die Entscheidung über die Beschwerde nach § 40 Abs. 3 erst mit Rechtskraft wirksam wird. Hinsichtlich der Beschwerdefrist gilt § 40 Abs. 2. Die Beschwerdefrist beginnt nach § 40 Abs. 2 mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung.